UST-Info 03/2023: Erneute EuGH-Vorlage zur Organschaft

Die Spannungen bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nehmen nicht ab. Nachdem der Europäische Gerichtshof zuletzt die deutsche Regelung im Kern freigab, macht nun der Bundesfinanzhof das nächste Problemfeld auf und fragt: Sind Innenleistungen steuerbar? Geradezu in einem Nebensatz ändert der BFH zudem seine jahrzehntelange Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung. Dafür kann nunmehr gar kein Kapitalanteil ohne Stimmrechtsmehrheit ausreichen.

Finanzielle Eingliederung ohne Stimmrechtsmehrheit

Laut BFH ist die finanzielle Eingliederung auch in einem Fall mit lediglich 50 % der Stimmanteile beim potentiellen Organträger gegeben. Insoweit ändert der BFH ausdrücklich seine Rechtsprechung. Denn nach Auffassung des EuGH sei weder die Stimmenmehrheit noch die Mehrheitsbeteiligung unbedingt erforderlich, um mit einer Tochtergesellschaft eine umsatzsteuerliche Organschaft zu begründen. Vielmehr komme es lediglich darauf an, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann.

Allerdings hält der BFH auch fest, dass bei nur 50 % der Stimmrechte die finanzielle Eingliederung lediglich schwach ausgeprägt sei. Dieser Umstand müsse zur Begründung einer Organschaft dadurch ausgeglichen werden, dass die wirtschaftliche oder organisatorische Eingliederung stärker ausgeprägt sind. Davon könne ausgegangen werden, wenn etwa Personenidentität in den Geschäftsführungs-organen der Organmitglieder bestehe. Dadurch kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und eine abweichende Willensbildung durch die 50 % der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung verhindern (Urteil vom 18. Januar 2023, XI R 29/22, zuvor XI R 16/18).

Zu beachten ist, dass der BFH einen recht speziellen Fall entschieden hat. Offen bleibt, ob der BFH dem Umstand besondere Bedeutung zumisst, dass der Organträger nur über 50 % der Stimmanteile, gleichwohl aber eine prozentuale Mehrheitsbeteiligung vergüte. Gleiches gilt für die Frage, ob die schwache finanzielle Eingliederung in solchen Fällen auch durch eine Teilpersonenidentität im Rahmen der organisatorischen Eingliederung ausgeglichen werden kann. Weiterhin klar bleibt jedoch, dass allein zwischen Schwestergesellschaften keine umsatzsteuerliche Organschaft entstehen kann.

EuGH-Vorlage zu Innenleistungen

In einem anderen Verfahren wurde (erneut) der EuGH angerufen (EuGH-Vorlage vom 26. Januar 2023, V R 20/22, zuvor V R 40/19). Die Klägerin im Streitfall ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen (hoheitlichen) Bereich unterhält. Die Tochtergesellschaft, welche unstrittig Organgesellschaft der Klägerin ist, erbringt entgeltliche Leistungen in beide Bereiche.

Nachdem der EuGH auf eine erste Vorlage urteilte, dass für die Leistungserbringung in den hoheitlichen Bereich keine Entnahmebesteuerung in Form unentgeltlicher Wertabgaben vorzunehmen sei, stellt der BFH nun mit einer weiteren Vorlage die Frage, ob möglicherweise sogar sämtliche Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger (Innenleistungen) steuerbar sind.

Die EuGH-Vorlage könnte beachtliche Folgen auslösen. Sollten Innenleistungen tatsächlich steuerbar sein, würde dies das gesamte Konzept der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft in Deutschland buchstäblich über den Haufen werfen. Denn vor allem in Bereichen mit steuerfreien Ausgangsumsätzen (z.B. Finanzdienstleistungen, Sozialunternehmen) werden Organschaften oftmals gerade begründet, um Innenleistungen ohne Umsatzsteuerbelastung erbringen zu können.

Wie der EuGH entscheiden wird, erscheint derzeit nicht absehbar. Vor allem in der Generalanwaltschaft wurden zu dieser Frage bislang unterschiedliche Ansätze vertreten. Die EU-Kommission geht hingegen – wie auch die bisherige Praxis in Deutschland – von einer Nichtsteuerbarkeit aus. Betroffene Unternehmen sollten entsprechende bestehende Gestaltungen daher kritisch evaluieren bzw. dahingehende Gestaltungsüberlegungen ggf. einfrieren.

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